BlogbeitragMut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?

Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?
Warum brauchen wir Mut zur Wut und wieso dürfen wir auch auf Arbeit wütend sein?

Der Sommer 2021 ist Geschichte. Nach Wochen und Monaten, in denen wir eher im Außen waren, weil das Wetter okay und die Temperaturen uns nach draußen gezogen haben, wir die langen Tage, Sommernächte und zunehmenden Freiheiten genossen haben, beginnt mit dem Herbst nun hierzulande wieder die Zeit der Innenräume und des Rückzugs ins Innere. Räumlich und mental. Ein guter Zeitpunkt, sich mal mit unserer Wut zu beschäftigen und diesem vernachlässigten Gefühl eine neue Bühne zu geben.
  • Erinnerst du dich, wann du das letzte Mal so richtig wütend warst?

    Spürst du deine Wut? Kennst du das Gefühl und wie gehst du mit deiner Wut um? Erlaubst du dir dieses wichtige und mächtige Gefühl? Oder ist Wut etwas, was du mit Menschen verbindest, die sich nicht unter Kontrolle haben? Oft gibt es bei Wut auch die direkte Assoziation oder gar Erfahrung zu Gewalt und Angst.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 2
  • Wut ist in unseren Breiten ein oft unterschätztes, vielfach unterdrücktes und nicht wirklich gewolltes Gefühl. Das ist nicht wirklich überraschend. Wütende Menschen haben in unserer Gesellschaft kein gutes Image. In der katholischen Kirche gilt der Zorn, als kleiner Bruder der Wut, als Todsünde. Ihre langen Arme reichen weit in unsere Gesellschaft.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 4
  • Wut gibt’s nur im Singular. Wut braucht keine Mehrzahl.

    Wen wundert es, dass das italienische Fuore auch als „großes Aufsehen erregen“ übersetzt wird. Wer sich an richtig wütende Menschen, Situationen oder vielleicht auch an die eigene Wut erinnert, weiß, was gemeint ist. Wut heißt im Französischen Rage. Da möchte man doch gleich ein wenig wütig werden – fühlt es sich doch gleich viel leidenschaftlicher an. Und akzeptiert. Nicht so hysterisch. Was oft für Frauen das Problem mit ihrer Wut ist. Wütende Frauen werden oft als hysterisch, hormonell gesteuert und als – in diesem Zustand – nicht ernst zu nehmen bewertet.

    Wut ist, gelinde gesagt, unangenehm, und zwar sowohl für den, der sie empfindet, als auch für den, den sie trifft. Deshalb gehört Wut in der Regel zu den negativ bewerteten Gefühlen. Das liegt vor allem daran, dass man nie so recht weiß, wohin mit ihr.
  • Aber was ist Wut eigentlich?

    Wut ist fast immer ein sicherer Anzeiger, dass unsere Grenzen nicht respektiert und überschritten wurden. Die entstehende Wut signalisiert uns – aber vor allem auch dem Gegenüber – das Maß der Alarmstufe. Je größer der individuell gefühlte Kontrollverlust wahrgenommen wird, umso stärker kann die Wut werden.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 7
  • Vor allem fehlende Wertschätzung der eigenen Leistung, fehlender Respekt vor der eigenen Person oder vor unserem Eigentum treibt vielen die Zornesröte ins Gesicht. Dabei geht es nicht in erster Linie um den materiellen Wert unseres Besitzes. Und natürlich reagieren viele Menschen wütend, wenn sie bedrängt, provoziert, verbal oder tätlich attackiert werden.

    Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel. Einige Forscher sind der Meinung, dass alle Emotionen sich aus einigen wenigen Basisemotionen zusammensetzen lassen.

    Der US-​Amerikaner Paul Ekmann reiste übrigens zu einem Urvolk nach Papua-​Neuguinea – auf der Suche nach nichts Geringerem als den Wurzeln der menschlichen Gefühle. Um die Existenz angeborener Emotionen zu beweisen, führte Ekman umfangreiche Studien durch. Die Erforschung unserer Emotionen bietet viel Stoff. Hier gibt’s dazu weitere spannende Infos: www.dasgehirn.info
  • Wut ist der große Bruder von Ärger und Zorn.

    Oft treten die Geschwister zusammen oder aufbauend auf.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 10
  • ​Woher kommt sie und wie entsteht unsere Wut?

    Unsere Wut ist ein großes Geschenk. Wie eine große Anzeige. Sie entsteht in Situationen des emotionalen Mangels aus einem Gefühl der Ohnmacht, wenn du dich nicht gesehen oder gehört fühlst. Die Vorboten der Wut sind Frustration, Gereiztheit, Empörung, gesteigert als Ärger und Zorn bis es in Wut gipfelt.

    Aber all diese Erfahrungen sind Ausdruck des Systems in unserem Gehirn, das uns hilft, auf Bedrohungen und Gefahren zu reagieren. Die Wut setzt eine ganze Kaskade physiologischer Reaktionen in Gang:
    • Wut startet in der Amygdala (Mandelkern), einem Komplex von Nervenfasern im limbischen System des Gehirns.
    • Von dort werden Signale durch Nervenzellen, die mit Wut einhergehen, über den Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns) zum Cortex (Hirnrinde) weitergeleitet, der die psychologische Interpretation des aufkommenden Gefühls ausarbeitet: dass wir beleidigt oder provoziert worden sind oder dass uns auf andere Weise Unrecht widerfahren ist.
    • Stresshormone wie Kortisol, Noradrenalin und Adrenalin zirkulieren verstärkt durch unseren Organismus, lassen unter anderem den Blutzuckerspiegel und den Blutdruck steigen.
    • Herz, Lunge, Gehirn und Muskeln werden mit zusätzlichem Blut aus dem Gewebe versorgt. Der Puls schnellt in die Höhe, plötzlich sind wir hellwach, voller Energie. Bereit, um auf ein Ärgernis, Stress oder Gefahren zu reagieren – letztlich um zu kämpfen oder zu fliehen.
  • Welchen Sinn hat Wut?

    Wut zeigt dem Einzelnen, was ihn in seinen Grundfesten erschüttert, was ihm wirklich wichtig ist.

    Sie ist eine starke Antriebskraft, wird zum Impulsgeber für Neuerungen. Und sie erlaubt es, sich zusammenzuschließen - und (vereint) gemeinsam etwas zu bewegen.

    So sehr die Wut uns in eine aggressive Grundstimmung versetzen mag: Anthropologen erkennen darin einen verblüffenden Mechanismus der Evolution, der einst dafür sorgte, dass die Gewalt unter unseren Vorfahren eben nicht ständig eskalierte.

    Denn die sichtbaren Zeichen des Zorns, so nehmen die Forscher an, konnten ein Gegenüber derart einschüchtern, dass es erst gar nicht zu einer kräftezehrenden Auseinandersetzung kam. Indem Wutanfälle den Menschen auf einen Angriff vorbereiten, können sie den Gewaltausbruch also zugleich überflüssig machen – einen Konflikt besänftigen.

    Aus Sicht der Wissenschaftler hat der Zorn damit eine wichtige Doppelfunktion, die dazu beitrug, dass unsere Ahnen friedlich in komplexen Gemeinschaften zusammenleben konnten. Was die Wut nährt, hat sich in Jahrzehntausenden wohl kaum geändert. Damals wie heute, sagen Experten, speist sie sich vor allem aus Kränkungen und ungerechter Behandlung.
    (Quelle: https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/15270-rtkl-psychologie-heilsamer-zorn-ueber-die-wut-und-ihre-positiven)
  • Die Wut hat viele Gesichter

    Mit welcher Macht uns Zorn in Aufruhr versetzen und außer Gefecht setzen kann, ist meist auch für Außenstehende sichtbar. Wer wütend ist, dem steht die Wut ins Gesicht geschrieben: Unsere Haut ist errötet, die Stimme zittert, der Atem geht schneller, die Augen verfinstern sich. Die Nasenflügel sind gebläht und wir pressen die Lippen zusammen. Auch Tränen sind oft ein Ausdruck der Wut. Weinen sorgt dafür, dass wir unsere Gefühle sortieren können und es zwingt uns, durch archaisch-biologische Mechanismen, tiefere Atemzüge zu nehmen, was den Herzschlag wieder verlangsamt.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 14
  • Die Folgen unserer vermeintlich wutlosen Gesellschaft sind vielfältig und umfangreich.

    Alles, was die Natur hervorgebracht hat, macht Sinn für die Erhaltung einer Art. So auch unser Spektrum an Gefühlen und Emotionen.

    Wenn die Wut in uns hochkocht, scheint es zunächst unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen und vernünftig zu handeln. Schlecht kontrollierter Ärger kann aber unsere Beziehungen zu uns selbst, unserer/m Partner*in, Kindern, Freunden und Kolleg*innen dauerhaft schädigen. Er kann darüber hinaus nicht nur zu Erschöpfung, Angst und Depressionen führen. Wie Mediziner*innen herausgefunden haben, wird er sogar mit einer reduzierten Funktion des Immunsystems, mit Bluthochdruck, einem erhöhten Infarktrisiko sowie koronaren Herzerkrankungen in Verbindung gebracht.

    Bei meiner Recherche habe ich einen weiteren tollen Link gefunden: www.deutschlandfunkkultur.de/emotionsforschung-wer-wut-unterdrueckt-kann-depressiv-werden

    Ich zitiere mal ein wenig:

    „Wut gilt als ungehörige Emotion. Schon im Kindesalter wird uns beigebracht, sie nicht auszuleben. Das kann krank machen, warnen Psychologen. Doch es gilt, das richtige Maß zu finden. Dann kann Wut zur produktiven Kraft werden.“

    Auch der Autor Tim Wiese war auf der Suche nach seiner Wut. Er beschreibt es so:

    „Ich bin auf der Suche nach der Wut. Bisher bin ich ihr eher aus dem Weg gegangen. Bloß niemanden provozieren. Menschen in Rage beunruhigen mich. Gerade das weckt aber auch meine Neugier. Was ist das für eine Emotion und wie geht man richtig mit ihr um?“
  • Wutanfälle

    Unter einem Wutanfall verstehen wir einen meist kurzzeitigen und partiellen oder völligen Verlust der Kontrolle über unser Gefühl der Wut. Dann spricht man auch vom Affekt.

    Wutanfälle richten sich gegen Personen, Tiere, Institutionen oder auch Sachen und haben oft einen konkreten Auslöser, der aber nicht zwangsläufig identisch mit dem Ziel der damit verbundenen Attacke sein muss.

    Der Wutanfall wird auch als Überreaktion bezeichnet und gilt deshalb in den meisten Kulturen als Charakterschwäche. Analog gilt es oft als Charakterstärke, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sondern die Contenance zu wahren bzw. kühl zu bleiben.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 17
  • Wutanfälle bei Kindern und das Lernen von Wut in Familien

    Bei Kindern im Alter von ein bis vier Jahren sind Wutanfälle ein weit verbreitetes und normales Verhalten. Bei Kleinkindern gehören Wutanfälle in einer bestimmten Phase zur psychischen Entwicklung. Aber auch größere Kinder und Jugendliche erleben Frust, Ärger und Aggression. Sie müssen ihren individuellen Umgang damit lernen.

    Der im Jahr 2019 verstorbene Familientherapeut Jesper Juul kritisierte die heutige Maskerade in vielen Familien und pädagogischen Einrichtungen deutlich: Juul betonte sogar, dass ein gewisses Maß an Aggression für ein gutes Familienklima unabdingbar sei: Erwachsene müssten sich wie „Menschen aus Fleisch und Blut“ mit all ihren natürlichen Emotionen verhalten, einschließlich Gereiztheit, Frustration und Wut.

    Eltern sollen also authentisch sein, ihre eigenen Grenzen offenbaren und anschließend die Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Dann wird es auch einem Kind gelingen, die eigenen Gefühle in all ihrer Bandbreite kennenzulernen und auszuhalten – auch die vermeintlich negativen.
  • Was haben wir in der Hand, unsere Wut zu händeln? Was machen wir mit unserer Wut?

    Auch hier gilt, Wissen ist Macht. In dem Fall kann uns das Wissen um die Wut helfen, sie besser zu verstehen.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 20
  • Welches Ausmaß deine Wut auch annimmt, in welchem Gewand sie sich auch zeigt, du durchlebst immer verschiedene Phasen dieses Gefühls. „Jedes Gefühl verläuft in einer Welle, es flutet heran und ebbt wieder ab. Gefühle entstehen und vergehen, kein Gefühl ist ewig. Wenn wir diese Erfahrung verinnerlicht haben, fällt es leichter, auch ungeliebte Gefühle wahr- und anzunehmen“. Insgesamt handelt es sich um vier aufeinander aufbauende Wutphasen.

    Gut beschrieben nachzulesen hier: www.liebenswert-magazin.de/was-bei-wut-mit-dem-koerper-passiert
  • ​Wut darf langsam öffentlich werden

    Dass die Wut zunehmend wieder eine Bühne bekommt, sehen wir daran, dass es Wettbewerbe gibt wie den mutzurwut.com, Designer und Grafiker*innen sich mit der Wut beschäftigen, wie hier beschrieben: page-online.de/kreation/mut-zur-wut-ist-zurueck

    „Wut darf uns nicht zu den äußeren Flügeln des politischen Spektrums drängen! Lasst sie uns kanalisieren und visuell konstruktiv als Basis eines gesunden Diskurses benutzen“, fordern sie und beschwören die Gabe von Gestaltern „Ideen auf eine Art und Weise zu verpacken und zu kommunizieren, die alle Grenzen überwindet, sei es Sprache, kulturelle Identität, Alter, Geschlecht oder Religion.“

    Bei dem Plakatwettbewerb MUT ZUR WUT können Designer*innen, Grafiker*innen und Kreativ-Studierende Plakate mit Motiven einreichen, meist zu politisch und gesellschaftlichen Themen, die wütend machen und beschäftigen. Ich bin während meiner Studienzeit darauf gestoßen und hab auch eigene Arbeiten eingereicht. Hier heißt es laut zu werden und Stellung zu beziehen, um zu provozieren. Mit Motiven, bei denen schnell klar wird, was sie ausdrücken.
  • Wieso braucht es nun Mut?

    Wenn wir also in den meisten Fällen unser ganzes Leben lang gelernt haben, zivilisiert und angepasst zu sein und keinen gesunden Umgang zur Regulation unseres Ärgers entwickelt haben, braucht es Mut. In anderen Bereichen, wie beim Sport und in Wettkämpfen erlauben wir uns den Mut. Er ist gesellschaftsfähig und instagrammable.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 24
  • Wenn wir die die gesamte Klaviatur unserer Gefühle leben und nicht einschränken, fühlen wir uns lebendiger. Ich möchte wirklich ermutigen, dies auch in allen Situationen unseres Lebens zu probieren – auch in beruflichen Konstellationen. Denn Wut zulassen und sich authentisch zeigen, heißt:
    • Ich nehme meine Gefühle wahr und lasse sie zu.
    • Ich übernehme Verantwortung für meine eigenen Gefühle.
    • Ich respektiere meine Grenzen und sorge für mich.
    • Ich zeige meine Wut und mache sie sichtbar.
    • Ich kommuniziere meine Grenzen, Bedürfnisse und was ich von meinem Gegenüber brauche.
    • Ich reguliere meine Wut der Situation angemessen.
  • Mut und Wut – Weshalb ist Wut für uns wichtig?: Bild 26
  • Deine Wut zu zeigen, bedeutet auch, dich zu zeigen. Das macht uns verletzbar und angreifbar. Und dafür braucht es Mut. Nicht den lauten, Bewunderung heischenden Mut wie beim Extremsport. Es geht um den kraftvollen leisen Mut. Der tief in uns schlummert und sich nährt aus dem Bewusstsein unserer Identität und der Akzeptanz unserer Person.

    Inzwischen bin ich sehr froh, wenn ich hin und wieder mal wütend werde. Dann fühle ich mich kompletter. Ich weiß auch, dass sie meist recht schnell wieder verschwindet, aber ich kann mit ihren Spuren arbeiten…

    In diesem Sinne – bleibt mutig und offen. Eure Jana