BlogbeitragBuchtipp – Das anständige Unternehmen

Buchtipp – Das anständige Unternehmen

Management ist Handwerk – Führung ist Haltung

Der Text richtet sich an Unternehmer*innen und Führungskräfte und an Menschen, die kritisch durchs Leben gehen und bestehende Umstände nicht einfach hinnehmen, sondern die Dinge immer wieder hinterfragen und im besten Fall zum Wohle der Menschen verändern möchten.
  • Mir ist vor einigen Monaten das Buch mit dem etwas irritierenden Titel „Das anständige Unternehmen“ in die Hände gefallen, das mich tatsächlich von der ersten Seite an begeistert hat. Habe ich begeistert geschrieben? Ich war begeistert aber ebenso verblüfft wie irritiert, dass es doch tatsächlich da draußen einen sehr klugen Menschen gibt, der einige meiner Gedanken einfach aufgeschrieben hat. Und das in einer derartigen Brillanz und Komplexität. Manchmal waren es bei mir noch keine Gedanken, sondern eher Gefühle, in Form von leichten Bauchschmerzen, Kribbeln oder Unwohlsein, die immer mal wieder auftauchten. In Situationen, die oft von Schnelligkeit geprägt waren. Bewusst innehalten hätte ein Fass aufgemacht. Der Autor Reinhard Sprenger macht dieses Fass auf und schafft es souverän, eine Bestandsaufnahme von Kultur und Führung in Unternehmen zu präsentieren und provoziert mit seiner Sicht auf Überfürsorge und Zudringlichkeit, mit denen Arbeitnehmer*innen heute vielerorts leben müssen. Bis eben war ich noch der festen Überzeugung, dass man Talents umsorgen sollte, damit sie bei der Stange bleiben. Ich hatte meine Überzeugungen und davon nicht zu wenige. Und ich war damit nicht allein.
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  • Das Buch, liest sich flüssig. Sprengers Sätze sind dicht, seine Wortwahl ist virtuos. Und dennoch habe ich viele Seiten doppelt, dreifach, vielfach gelesenen. Warum? Um zu verstehen, zu begreifen und staunend zu bemerken, dass meine Intuition sehr oft bestätigt wurde, dass Vieles in unserem Wirtschafts- und Arbeitsleben nicht so sein muss, wie es ist – ja sogar nicht so sein DARF, wie es vielerorts praktiziert und nicht hinterfragt wird.

    Aber was ist denn überhaupt ein anständiges Unternehmen? Was meint überhaupt ANSTÄNDIG? Eine Begriffserklärung des reinen Wortes ist sicherlich „den Sitten, den geltenden Moralbegriffen entsprechend“. Anständig ist aber auch ein Wort unter dem sich verschiedene Generationen vermutlich etwas anderes, teilweise Gegensätzliches vorstellen. Das macht es nicht einfacher. Als ehrbar oder korrekt wird anständig ebenfalls geführt. Vielleicht auch als synonym zu amtlich, beachtlich. Sprenger geht davon aus, dass jeder sofort weiß, was anständig und unanständig ist und dass unserer innerer Ethik-Kompass uns navigiert. Aber eben auch jeder von seinem eigenen.

    Im Buch geht es aber nun vornehmlich darum, anständige von unanständigen Unternehmen zu unterscheiden.
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  • Dem Autor geht es um eine neue Moral in Unternehmen, die er am Begriff des „Anstands“ reflektiert und praxistauglich machen will. Er extrahiert u.a. fünf Prinzipien in der Praxis, konkretisiert damit seine Vorstellung von Anstand und erläutert, was anständige von nicht-anständigen Unternehmen unterscheidet und was am Ende den Unterschied macht:
    • Betrachte Mitarbeiter nicht als bloße Mittel
    • Behandle Mitarbeiter nicht wie Kinder
    • Versuche nicht, Menschen zu verbessern
    • Verletze nicht die Autonomie der Mitarbeiter
    • Bezeichne nichts als alternativlos

    Er führt uns in die Tiefen der Sozialpsychologie und belegt, dass beim Anstand der soziale Charakter des Begriffs dominiert. What??? „Anstand ist demnach etwas zwischen Menschen.“ Okay. Im Gegensatz dazu kann Anstand auch intrinsisch (von innen her, aus eigenem Antrieb) verstanden werden, nämlich als individuelle Einstellung, die der Mensch zu sich selbst einnimmt. Das ist tatsächlich verständlich und nachvollziehbar: „Ich will mir gegenüber anständig sein. Ich will von mir das Bild eines anständigen Menschen haben“. Anstand beinhaltet also zum Beispiel nicht nur einen Freiraum, was uns erlaubt ist zu tun, sondern auch, dass wir es tun.“ Die Entscheidung liegt bei Dir!
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  • Der Blick in die Welt der Ethik und Moral und die Beschäftigung mit der Anständigkeit war für mich wie eine Tür, die ganz hübsch aussah, weshalb ich sie unbedingt öffnen wollte – ohne zu wissen oder gar zu ahnen, was sich dahinter tatsächlich verbirgt. Das, was sich mir nach und nach offenbarte, war ein Labyrinth aus Gedanken, Thesen, Provokationen, philosophischen, soziologischen und psychologischen Fragmenten. Hin und wieder zeigte es für kurze Momente seine Logik, um im nächsten Moment mit einer weiteren provokanten These oder verwirrenden Herausforderung um die Ecke zu kommen.

    Vieles von dem, was wir uns als globale Gesellschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten als Arbeitskultur teilweise mühsam erarbeitet haben und was irgendwie als Konsens für „gut“ stand, stellt Sprenger sehr deutlich in Frage. Wie z.B. ein einheitlicher Führungsstil, extrinsische Anreize (Boni und Prämien), anonyme Mitarbeiterbefragungen oder das Abschalten von E-Mailservern um die Mitarbeitenden zu schützen (man unterstellt ihnen damit, dass sie sich nicht selbst schützen können). Er nimmt nichts hin – und als gegeben und irreversibel an. Anständige Unternehmen zeichnen sich ihm zufolge durch eine „Ökonomie der Zurückhaltung“ aus. Für das Management bedeutet dies im Klartext: Wer unternehmerische Potenziale wieder freisetzen will, muss vieles von dem, was heute als erstrebenswert und fortschrittlich gilt, wieder sein lassen, ganz nach dem Motto: „Bewegung braucht Raum.“ Die schöne Sicherheit ist futsch.

    Die Fragen und Thesen, die er scharfsinnig anführt, werfen für mich größere gesellschaftliche Fragen auf, wie „Verantwortung setzt immer Freiheit voraus“. Und meint eben auch die Freiheit, sich auch selbst zu schaden. Sprenger formuliert direkt, er erschafft Begriffe wie Bevormundungskultur, Infantilisierung als Strukturprinzip und Legitimationsdefizit. Ich genieße seine Sprache, hoffe, möglichst viele seiner Gedanken dauerhaft abzuspeichern, um sie an entsprechender Stelle im Alltag wieder hervorholen zu können – für meine eigenen Interventionen und Provokationen. Der Rebell in mir will gefüttert werden und ist gleichzeitig schon satt. Bei jedem neuen Kapitel setzt Sprenger noch eins drauf. Deshalb fällt es mir schwer, zu entscheiden, was noch wichtig ist für diesen Artikel. Weil einfach alles so durchdacht, so spröde und dabei so erhellend, direkt und ehrlich ist – einfach so verdammt anständig ist…

    Seht es mir nach, dass ich viele wichtige Aussagen weglassen musste, ich nicht weiter darauf eingehen kann, dass Fürsorglichkeit auch klein macht und dass Leistungsvergleiche nicht funktionieren, weil wir immer Unvergleichliches vergleichen.
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  • Es geht bei dem Buch für mich auch nicht ums Recht haben oder um besondere Praxistauglichkeit, obwohl das Buch in der Praxis gut helfen kann, agil zu werden, das Denken anzuregen und Dinge gemeinsam auszuprobieren, zu diskutieren, zu verwerfen und neu zu kreieren. Denn darum kommt man heute als Führung heute nicht mehr herum. 

    Das wichtigste, was mir das Buch nach mehrmaligem Lesen mitgegeben hat, ist, meine eigenen Glaubenssätze und Denkmechanismen in Bezug auf meine Visionen, Führung, insbesondere gute Führung (was ist das eigentlich?), Unternehmenskultur und Werte und gnadenlos zu überprüfen und nichts, aber auch wirklich gar nichts einfach so zu belassen, ohne es zu hinterfragen. Ich ahne, es wird anstrengend… :)

    Solltet ihr euch trotzdem inspiriert fühlen und das Buch lesen, würde ich mich über eure Gedanken freuen.
    Für den Moment habe ich nur diese eine letzte Frage: Wie schafft es ein Buch in deine Hände und wie entscheidest Du, welches Buch du liest und welches nicht?
     Welchen Büchern widmest du deine wertvolle Zeit – Lebenszeit, in der du schließlich auch andere Dinge machen könntest?

    Eure Jana – im anständigen Fragen-Rausch…