BlogbeitragHomeoffice – mein persönliches Fazit nach 4 Wochen Corona-Holodeck

Homeoffice – mein persönliches Fazit nach 4 Wochen Corona-Holodeck
Homeoffice gehört seit vielen Jahren zu meinem beruflichen Alltag. Und dennoch ist jetzt alles anders. Ich vermisse Euch! Mein Fazit nach den ersten vier Wochen Corona Zeit und erzwungenem Homeoffice ist eine Mischung aus Paralleluniversum, Hausarrest, Generalprobe, Inszenierung, Wochenende und Haushaltstag.
  • Das mit dem Homeoffice ist nicht neu. Martin und ich haben die ideenmanufaktur vor fast 19 Jahren ins Leben gerufen. Damals eher intuitiv als strategisch, haben wir uns eine Welt geschaffen, die es in ihrer Vielfalt und Breite in unserem Kosmos so nicht gab. Der Name ist bis heute Programm. Wir lieben Ideen und Neues. Stillstand und Routine wird irgendwann schwierig. Wir waren immer neugierig und haben jede neue Herausforderung und viele neue Themen und Projekte mit viel Freude und großem Engagement angenommen. Es gab wenig Projekte, die uns zu groß, zu herausfordernd oder zu unrealistisch erschienen. Und mit jedem Einzelnen sind wir gewachsen. Durch unser tolles Team, das nach und nach größer wurde, kamen weitere Themen und Knowhow dazu.

    Durch unsere Kinder war Homeoffice phasenweise die einzige Möglichkeit, überhaupt sinnvoll arbeiten zu können. Nachts oder mittags, wenn die Kinder schliefen oder im Kinderwagen im Hof standen. Wir wurden Profis darin, eine Stunde so effektiv wie möglich zu nutzen.

    Homeoffice war aber auch immer eine willkommene Abwechslung zum später routinierten Büroalltag, wenn ich in halben Nächten Fotodatenbanken durchsucht oder Texte und Konzepte in Ruhe schreiben wollte – mal für ein paar Stunden am Stück. Homeoffice hieß dann für mich aber auch, wenn ich ein bisschen mehr nach meinem Biorhythmus und meinen kreativen Phasen leben und arbeiten wollte. Diese Momente waren aber immer nur ein kleiner Teil in meinem sonst sehr turbulenten und abwechslungsreichen Leben, das geprägt war von vielen Treffen, Veranstaltungen, Konferenzen, sozialen Verbindungen und immer wieder neuen spannenden Kontakten – in echt. Darin war ich gut und ich habe es geliebt.
  • Homeoffice – mein persönliches Fazit nach 4 Wochen Corona-Holodeck: Bild 2
  • Als klar war, wohin mit Corona die Reise gehen wird, haben wir mit unserem Team innerhalb kürzester Zeit entschieden, für alle Kolleg*innen das Arbeiten von Zuhause zu ermöglichen. Einfach um für alle das Risiko zu mindern und nicht im ÖPNV zweimal am Tag durch die Stadt zu fahren. Gesagt getan. Wir waren im Macher-Modus. Es gibt eine Herausforderung? Her damit. Wir lösen, improvisieren, werden erfinderisch. Wir waren im Projektmodus. Das ist Teil unserer DNA.

    Am Montag den 16.3. trafen wir uns noch einmal zu unserer montäglichen Projektrunde. Es fühlte sich wie ein ungewollter und ungeplanter Abschied auf unbestimmte Zeit an. Schmerz und Wehmut begleiteten mich. Ich mag unser Büro, die Atmosphäre das Miteinander in unserem Team. Die Wucht der Gefühle, die in Wellen mich trafen und in manchen Momenten fast die Luft nahmen, war unerwartet und manchmal auch beängstigend. Die Verantwortung für unser Team, die Unsicherheit, wie es für uns weitergeht, wie die Kunden wohl reagieren, wie gefährlich die Lage wird, wie ansteckend dieses unsichtbare Dinge wirklich ist und wie lange diese Situation andauern wird? 

    Hinzu kam eine fette Erkältung, die mich zu Beginn der Allergiezeit fast jährlich heimsucht. Ich war müde, ausgelaugt und ein wenig verängstigt, ob ich mich vielleicht auch schon angesteckt hatte. Mit meinem allergischen Asthma und anderen Vorerkrankungen gehörte ich nun plötzlich auch zur Risikogruppe. Kein schönes Gefühl. Hinzu kam, dass in meinem Umfeld die Erkenntnis über die Ernsthaftigkeit der Situation sehr unterschiedlich schnell bzw. langsam ankam. Die gesamte Bandbreite menschlicher Reaktionen, von komplett zuhause bleiben bis hin zu Feierlichkeiten, die sich anfühlten wie der Tanz auf dem Vulkan und dann erst am Sonntag (15.3.) verboten wurden, von Panik bis Rebellion – alles war dabei und irritierte mich. Mein innerer Kompass, was richtig und falsch war, hatte mich verlassen. Ich war orientierungslos wie ein Segelboot im Sonnenschuss mit kaputtem Ruder und Motor.
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  • Da saß ich in meinem Homeoffice, technisch gut ausgestattet aber völlig ratlos, wie es für mich als Beraterin nun weitergeht. Ein großer Teil meiner beraterischen Projekte war innerhalb kürzester Zeit verschoben auf unbestimmte Zeit oder ganz abgesagt, während meine Kollegen in den Digitalprojekten nicht wussten, wo ihnen der Kopf stand. Zurückgeworfen war ich auf grundlegende Fragestellungen, wer ich eigentlich bin, ohne Aufträge, ohne das Gefühl gebraucht zu werden. Klar brauchte mich die Agentur, mein Bruder und Geschäftspartner, mein Team, unsere Kunden und ein bisschen unsere anderen Projekte. Aber für mich war es, als wäre ich von heute auf morgen meiner beruflichen Identität beraubt. Die Sorge um meinen großen Sohn, der in Asien festsaß, mein Vater der kurz vor einer lange geplanten OP stand und das nicht einzuschätzende Risiko ließen mich in den ersten Tagen weder schlafen noch einen ruhigen Gedanken fassen. Ich war tatsächlich zwischendurch lahm gelegt. Ich rief mir mein gesamtes Wissen über die menschliche Psyche, die Phasen der Krise, Resilienz und ressourcenorientiertes Denken ins Bewusstsein, versuchte in mich reinzuhorchen, was ich eigentlich gerade brauchte und was mir vielleicht gut tun würde.

    Als nach der ersten Corona-Homeofficewoche die Bundesregierung zum #wirvsvirus Hackathon aufrief, wäre das für uns als Agentur aber auch Menschen mit unseren Profilen und Fähigkeiten eine perfekte Möglichkeit gewesen, uns einzubringen, gemeinsam mit unglaublich tollen Teams, an wichtigen Fragestellungen zu arbeiten. Es ging nicht. Ich fühlte mich wie ein Schlauchboot ohne Luft und konnte stundenweise nur atmen während ich, die immer für ihre Energie und Zähigkeit bekannt war, mich über als die Energie und Betriebsamkeit in meinem Netzwerk nur wundern konnte. Ich war aus meiner Mitte geschubst. Während alle schon über die Chancen sprachen, die die Krise mit sich bringen würde, die heilige Kuh Digitalisierung feierten, Menschen sich direkt solidarisierten und in Aktionismus verbrüderten, stand ich noch am Steg und schaute dem schaukelndem Boot hinterher.
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  • Was mir in den nächsten Wochen half, waren Schlaf, Spaziergänge in der Sonne und Natur, gesunde und vor allem leckere Dinge kochen, Alkohol, Struktur und Gespräche. Aber wenn man plötzlich von morgens bis abends den Tag mit Videotelefonaten verbringt, mochte ich abends nicht mehr reden, egal mit wem. Ich kann auch schlecht lange still sitzen, schon seit Kindheitstagen. Deshalb bin ich auch in Workshops und bei meinen Moderationen ein großer Fan, im Stehen zu arbeiten, den gesamten Raum zu nutzen. Bei den Videochats muss ich stundenlang sitzen oder zumindest an einem Ort verweilen. Vielleicht muss ich mir noch so einen Helm bauen mit Kamera, damit ich in Bewegung sein kann. Dann muss aber die Wohnung auch immer aufgeräumt sein…

    Und ja, man kann Manches gut in Videochats besprechen und organisieren. Es ist großartig, leichten und direkten Zugang zu Wissen und Menschen zu haben. Aber wenn man Menschen auf diese Art und Weise zum ersten Mal sieht und spricht, dabei zuhören, aufnehmen, verarbeiten, reagieren, überzeugen und performen muss, zieht das Energie. Selbst wenn das Netz schnell, die Kamera hochwertig und der Bildschirm eine gute Auflösung hat.
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  • Und ja, man kann Manches gut in Videochats besprechen und organisieren. Es ist großartig, leichten und direkten Zugang zu Wissen und Menschen zu haben. Aber wenn man Menschen auf diese Art und Weise zum ersten Mal sieht und spricht, dabei zuhören, aufnehmen, verarbeiten, reagieren, überzeugen und performen muss, zieht das Energie. Selbst wenn das Netz schnell, die Kamera hochwertig und der Bildschirm eine gute Auflösung hat.

    Mir ist sehr bewusst, welch Luxus es ist, von Zuhause aus arbeiten zu können. Es ist warm, hell, gemütlich, der Arbeitsweg entfällt, man spart Zeit, muss nicht im Regen mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren oder im Feierabendverkehr einen Parkplatz suchen. Man kann im besten Fall zwischendurch kochen, der Kühlschrank ist gefüllt und ich habe mehrere Orte, an denen ich gut arbeiten kann. Mein Zubehör und die technische Ausstattung sind inzwischen so gut, dass ich in verschiedenen Räumen auch fast ergonomisch arbeiten kann. Abgesehen von der Hellhörigkeit des Altbaus, dem überlasteten Netz und den Besonderheiten meiner Nachbarn, die ausgerechnet dann immer duschen und in Clublautstärke Musik hören, wenn ich mich konzentrieren muss oder im Videochat bin. Mein Teenager ist ein perfekter Mitbewohner, der mir alle Zeit und Freiheiten lässt. Sein Biorhythmus hat sich innerhalb der ersten Tage eingependelt auf Ferienzeit. Wir frühstücken selten vor 14Uhr. Seine eigenen Schulaufgaben erledigt er ebenso zuverlässig, wie Dinge im Haushalt, dass ich jeden Tag sehr dankbar bin und manchmal gar nicht weiß wohin mit meinem Glück.

    Und dennoch ist das Modell remote zu arbeiten für mich ein Gefährt, dass unrund läuft und holpert, wie ein Essen, das super aussieht, aber nach nichts schmeckt, vielleicht sättigt aber nicht befriedigt. Wie Urlaub auf einem Holodeck. Es ist alles da, aber es ist nicht echt.

    Wir sind alle durch das Virus verbunden – weltweit. Wir müssen alle mit der Situation umgehen und neue Wege finden, einzeln und gemeinsam. Wenn wieder Kraft da ist, kann man auch wieder Dinge ausprobieren. Kreativität braucht einen freien Kopf. Langsam hab ich den wieder und auch Energie, mich mit neuen Möglichkeiten anzufreunden und Chancen darin zu sehen, nicht an meinen eigenen Ansprüchen zu scheitern und die Umstände anzunehmen, als das was sie sind.
  • Homeoffice – mein persönliches Fazit nach 4 Wochen Corona-Holodeck: Bild 10
  • Der Wesentliche Teil meines bisherigen Lebens – die direkten und unmittelbaren Verbindungen – ist weitestgehend wie eingefroren. Ich bin auf Entzug, vermisse Menschen, ihre Unterschiedlichkeit, die Inspirationen und Herausforderungen, die Reibung, die kleinen und großen Rituale, Umarmungen, die Gesamtheit eines Menschen bis hin zum Geruch des Waschmittels oder After Shave. Die Energie, die im Raum ist und zwischen Menschen entsteht, wenn wir zusammen arbeiten, in kreativen Prozessen Ideen und Strategien entwickeln oder einfach zuhören und mit guten Fragen ganzen Universen auf die Welt helfen – diese Energie spüre ich am Bildschirm nicht. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber diese Zeit hat mir sehr bewusst gemacht, was ich vorher schon geahnt habe: dass es viel mehr Unsichtbares gibt, das für mich und die meisten Menschen das Leben lebenswert macht.

    Nach vier Wochen Homeoffice habe ich meinen Rhythmus gefunden, auch wenn es immer mal wieder holpert, mir Feedback und Austausch fehlen und die vielen kleinen Informationen, die wir im Alltag ohne Sprache austauschen.

    Aber ich bin jetzt im Vorfreudemodus. Ich freue mich auf all das, was ich momentan vermisse, auf das, was Neues dazu kommen mag und was das Arbeiten wieder zur Berufung macht – und ich freue mich auf EUCH!!!
    Bis dahin gebe ich mein bestes im Homeoffice vom Holodeck.

    Bleibt gesund, passt auf euch und euer Umfeld auf. Wir sehen uns ❤️

    Eure Jana